Mein zweiter Berufsweg: Vom Zahnarzt zum Rolfer®

Von Stefan Kirn, Certified Rolfer®

Als ich als frisch ausgebildeter Zahnarzt ins Berufsleben eintrat, hatte ich sehr schnell das Gefühl, als fehle noch etwas. Ich wollte mich umfassender mit Menschen befassen, als ich es im Studium gelernt hatte. Und so schweifte ich aus der Zahnmedizin immer wieder in Grenzbereiche ab: Akupunktur, Angsttherapie, Entspannungstraining, Raucherentwöhnung, Hypnose, Focusing und beratende Gesprächsführung, Psychosomatik und psychologische Beratung waren Stationen meiner weiteren Ausbildung.

Ich fühlte mich von der Körperarbeit angezogen

Meinen ersten Kontakt zum Rolfing® hatte ich durch Leland Johnson, einem Zeitgenossen von Dr. Ida Rolf und Fritz Perls.  Seine Lehre „Living Gestalt und Körperbewusstsein“ vereinte Elemente von Körperarbeit mit solchen aus Gestalt- und Bewusstseinsarbeit. Ich besuchte Seminare bei ihm und schnell war mir klar, dass ich mich vor allem von der Körperarbeit angezogen fühlte. Etwas so Grundlegendes war mir vorher noch nicht begegnet.

Als ich dann zufällig auf der Website der European Rolfing® Association landete, beschloss ich, ein Schnupperwochenende dort mitzumachen. Darauf folgte die Ausbildung zum Rolfing Practitioner.

 

Rolfing & Zahnarztpraxis parallel

Meine zahnärztliche Praxis lief währenddessen weiter, und immer, wenn es sich anbot, flocht ich Rolfing in die Behandlung ein. Insbesondere Patienten mit funktionellen Problemen, wie spannungs- oder stressbedingte Bewegungseinschränkungen und Schmerzen, erfuhren bemerkenswerte Änderungen, selbst bei nur kurzen Behandlungen.  Eine Patientin kam z.B. nach der ersten zahnärztlichen Notfallbehandlung spontan zur Zehnerserie.

Da hatte ich also meinen umfassenderen Zugang zum Menschen gefunden.

Was zunächst als Unterstützung des „Hauptberufs“ gedacht war, wurde zu einer parallel ausgeübten Tätigkeit

 

Warum gerade Rolfing?

Der Ansatz von Dr. Rolf, einen Prozess anzustoßen, als Katalysator zu wirken und damit Veränderung hervorzurufen, unterscheidet sich sehr von anderen Ansätzen in der Körperarbeit. Früher sei Rolfing SI sehr schmerzhaft gewesen. So, wie ich es gelehrt wurde, wirkt

die meist sanfte, behutsame, ja liebevolle Manipulation heilsam und zeigt dem Körper den Weg zu neuen Möglichkeiten für Körper und Geist.

Dabei zu unterstützen und zu sehen, wie sich Veränderung einstellt, ist für mich eine große Freude'

Es gibt viele hilfreiche und wirkungsvolle Tests und Tools, die ins Rolfing integriert werden. Basis bleibt in meinen Augen aber „Touch“, das Berührt-Werden.  Dieses Berührt-Werden triggert Veränderung auf allen Ebenen der Gesundheit: biologisch, psychisch und sozial.

Und so nimmt jeder Klient, unabhängig vom Grund seines Kommens, etwas mit, was ihn weiterbringt.

Natürlich gibt es auch Klienten, die die Behandlung aus verschiedenen Gründen frühzeitig beenden. Wie andere Behandlungstechniken auch, ist Rolfing kein Allheilmittel. Je nachdem, welches Ziel ein Klient verfolgt, wird er mehr oder weniger Erfolg haben. Ein verloren gegangener Knorpel im Gelenk lässt sich nun mal nicht wieder zurück rolfen, und um einen Halux Valgus zu begradigen, braucht es den Fuß Chirurgen. Trotzdem kann der Klient auch hierbei mit Rolfing SI unterstützt werden.

Bei Klienten, die seit Jahren alles Mögliche „in sich hineingefressen“ haben, kann es durch die Rolfingsitzungen zu beeindruckenden Lösungsprozessen kommen, die u.U. mit verstärkten Beschwerden einhergehen. Dies entmutigt die Klienten, und wenn die Rolfing Behandlung als Grund dafür betrachtet wird, endet sie möglicherweise jetzt. Ein vorbeugender Hinweis auf diese mögliche anfängliche Befundverschlechterung, verbunden mit der Bitte um Kontaktaufnahme für eine „Notfallintervention“, kann hilfreich sein und den Abbruch verhindern.

Rolfing ist meine Berufung

Mittlerweile habe ich das Vorruhestandsalter erreicht und mir den Wunsch erfüllt, nur noch mit Rolfing zu arbeiten und die Zahnmedizin bleiben zu lassen. Der Wechsel fällt mir leicht; Zahnmedizin war Beruf, Rolfing ist vielleicht Berufung. Darüber hinaus lieben die Leute Rolfing, sie fragen nach dem nächsten Termin, Gespräche während der Arbeit sind möglich, sie haben keine Angst… und in der Zahnmedizin?

Noch stehe ich am Anfang. Jetzt kann ich mich auch auf das Advanced Training vorbereiten, und erhoffe mir davon mehr Einsichten in die Zusammenhänge von Körper und Beschwerdebildern und mehr Möglichkeiten zur gezielten Intervention, die ich bewusst nicht Therapie nenne, denn

Gravity is the therapist (Ida Rolf)

 

Autor: Certified Rolfer®, Stefan Kirn - Deutschland

Fotos: Private Bilder von Stefan Kirn

 

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